European Areas of Solidarity (EASY)

Städtische Teilhabe von Sans-Papiers

Zürichs Bürgermeisterin Corine Mauch warb für die Einführung der "Züri City Card"

„Sans-Papiers“, Menschen ohne regulären Aufenthalts­status, prägen die Alltagsrealität vieler europäischer Städte und leben doch im Schatten der Gesellschaft. Ohne Ausweis bleiben ihnen viele Bereiche verschlossen, etwa bei der Wohnungs­suche oder der Gesundheits­versorgung. In dem Bestreben, die Situation von Sans-Papiers zu verbessern, verfolgt die Stadt Zürich einen neuen Ansatz: Im Mai 2022 haben die stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger der Stadt mit knapper Mehrheit für das Konzept eines neuartigen Stadtausweises votiert. Die „Züri City Card“, deren Einführung nun bis 2026 vorbereitet wird, soll allen in der Stadt lebenden Menschen einen unkomplizierten Zugang zu städtischen Dienstleistungen, zu Kultur- und Freizeit­ange­boten gewähren. Vor allem soll die Karte Sans-Papiers mehr Teilhabe ermöglichen, da sie keine Informationen zur Herkunft oder zum ausländer­rechtlichen Status enthält. Auf diese Weise können sich Sans-Papiers, von denen Schätzungen zufolge mehr als 10.000 in Zürich leben, gegenüber städtischen Behörden und weiteren Einrichtungen, die die City Card anerkennen, ausweisen. Sollte die Implementierung der „Züri City Card“ gelingen, ist gut vorstellbar, dass andere Kommunen dem Beispiel Zürichs folgen werden. Kommunale und zivil­gesell­schaft­liche Initiativen für vergleichbare Konzepte gibt es bereits in vielen europäischen Städten. Dahinter steht die Vision einer „Solidarischen Stadt“, in der der Alltag von Menschen ohne Papiere nicht mehr von der Angst geprägt ist, ausgegrenzt und entdeckt zu werden.

Diese Ideen und Strategien am Beispiel Zürichs mit inklusions­theoretischen und postmigrantischen Zugängen zu untersuchen, ist das Ziel des Forschungs­projekts. Dabei wählt das Projektteam einen multiperspektivischen Ansatz, der sowohl die Sichtweisen von Sans-Papiers, als auch von städtischen Beschäftigten, Sozialarbeitern und anderen, die mit der Umsetzung solidarischer Stadtkonzepte befasst sind, einbezieht. Im direkten Kontakt mit Sans-Papiers, vermittelt durch den „Verein Züri City Card“ und die „Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich“ möchten die Forschenden herausfinden, unter welchen Bedingungen Menschen ohne regulären Aufenthalts­status in der Stadt leben und welche Erwartungen und Wünsche sie hinsichtlich des geplanten Stadtausweises hegen. Um diese Perspektiven einzuholen, werden Verfahren aus der Ethnographie und der partizipativen Aktionsforschung angewendet, bei denen die Teilnehmenden ihre Alltagswelt unter anderem mithilfe von Karten abbilden („Community mapping“) und mit Fotos dokumentieren. Dabei wird sichergestellt, dass für die Mitwirkenden keine Risiken aus ihrer Teilnahme an der Forschung entstehen und ihre Anonymität gewahrt bleibt.

Straßenszene am Bucheggplatz, Zürich ©Rafael Wiedenmeier/iStock

Der zweite Schwerpunkt des Projekts liegt auf Interviews mit Expertinnen und Experten, die in Zürich, aber auch in anderen deutschsprachigen Städten, an Konzepten einer „Solidarischen Stadt“ arbeiten. Diese ermöglichen die Analyse der zugrunde­liegenden Vorstellungen von Inklusion und Stadtgesellschaft, aber auch der praktischen und rechtlichen Hürden bei der Umsetzung. Im Rahmen von Workshops treten beide Perspektiven – die der Praktiker und die von Sans-Papiers – miteinander in Dialog. Am Ende des Forschungs­projekts steht eine Open-Access-Broschüre, die Wege zum solidarischen Umgang mit Flucht und undokumentierter Zuwanderung auf der Ebene von Städten aufzeigen soll und sich an Akteure aus Politik und Zivilgesellschaft richtet. Darüber hinaus fließen die Ergebnisse in die Dissertations­vorhaben der Projekt­bearbeiterinnen Songül Can und Johanna Hofmann ein.

Projektleitung

Prof. Dr. Caroline Schmitt
Prof. Dr. Marc Hill

Institutionen

Frankfurt University of Applied Sciences
Universität Innsbruck

Förderung

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Vorhaben im Rahmen des Förderschwer­punkts Flucht durch die Gewährung von zwei Promotions­stipendien sowie die Übernahme von Personal-, Reise- und Sachkosten.

 

Das Projekt wurde im Frühjahr 2024 dokumentiert.